Fallbeispiel: Ein typischer Tag eines Straßenkindes„ Nach einer unruhigen, viel zu kurzen Nacht wacht der 12jährige Owino unter dem Hauseingang eines Versicherungsgebäudes auf. Die sechs anderen Straßenkinder, mit welchen er regelmäßig die Nacht verbringt, schlafen noch in ihren Plastiksäcken. Da die „big boys“ (ältere, arbeitslose Jugendliche, die häufig durch gewalttätiges und kriminelles Verhalten auffallen) wieder einmal Ärger gemacht hatten, war die Polizei am späten Abend in die Stadt gekommen und hatte auch Jagd auf die jüngeren Kinder gemacht. Owino weckt die anderen, bevor er wie jeden Morgen zum „Lake Market“ geht, um den Marktfrauen beim Aufbau ihrer Stände zu helfen. Als Gegenleistung bekommt er ein Trinkgeld, das für ein Frühstück, bestehend aus Tee und Brei („porridge“) reicht.
Da er schon seit fast drei Jahren auf der Straße in Kisumu lebt, kennt er die Frauen gut und kann ihnen sogar Geld zur Aufbewahrung anvertrauen, wenn er mal etwas übrig hat.
Nach dem Frühstück geht Owino mit ein paar anderen gleichaltrigen Straßenkindern zum See hinunter, um sich zu waschen bzw. um zu baden.
Gegen Mittag findet sich Owino wie üblich an dem kleinen Busbahnhof der Akamba- Gesellschaft ein, da hier die großen Reisebusse von oder nach Uganda immer Mittagspause machen. Hier gibt es viele kleine Restaurants aus Wellblech, in denen die Reisenden schnell ein Mittagessen zu sich nehmen und übriggebliebenes Essen dann oft den Straßenkindern schenken. Manchmal kann Owino auch den Restaurantbesitzern in der Küche beim Putzen oder Hühner Schlachten helfen, oder ihnen gesammeltes Brennholz verkaufen. Als Gegenleistung bekommt er
Essensreste, Küchenabfälle („the blood or head of the chicken“) aus denen er sich ein Essen kocht, oder sogar ein kleines Taschengeld.
Die Zeit nach dem Mittagessen bis zum späten Nachmittag ist nicht besonders geeignet, um Geld zu verdienen, weil die meisten Leute in ihren Büros sind. In dieser Zeit trifft sich Owino wie so häufig mit ein paar Freunden, anderen Straßenkinder in seinem Alter, unter dem großen Mangobaum im Stadtpark. Oft sitzen sie einfach nur im Schatten, um sich zu unterhalten oder “Simbi“ (ein Glücksspiel um Kleingeld, das fast allen Straßenkindern bekannt ist) zu spielen- die meisten inhalieren währenddessen
Klebstoff aus kleinen Plasikfläschchen.
(…) Am späten Nachmittag, zur Zeit des Feierabends, geht Owino wie immer in die Einkaufsstraße „Oginga Odinga Street“, wo sich die Leute in die Supermärkte drängen. Dort platziert er sich vor einen großem Supermarkt und fragt die 78 Kunden, ob er ihnen beim Tragen helfen kann, wofür er dann ein Trinkgeld bekommt, oder ob sie ihm Brot mitbringen oder übriges Wechselgeld geben. Die Herausforderung für ihn ist dabei, sich zum einen gegen die vielen anderen Straßenkinder zu behaupten und gleichzeitig nicht zu aufdringlich zu sein, da die Wachmänner des Supermarktes die Straßenkinder nicht mögen und nicht zögern ihre Schlagstöcke einzusetzen. Heute hat Owino Glück und bekommt für drei Trägerjobs eine Packung Toast und insgesamt 50 Schillinge (ca. 0,55€).
(…) Nach und nach stoßen die Freunde, mit denen Owino immer die Nacht verbringt, zu ihm. Gegen 21 Uhr holen sie ihre Plastikschlafsäcke aus dem Versteck hinter einer dichten Hecke und gehen zu ihren Schlafplatz unter dem Eingang des Versicherungsgebäudes. Bevor sie einschlafen, erzählen sie von ihren Tageserlebnissen und schnüffeln Klebstoff aus kleinen Plastikfläschchen, um besser einschlafen zu können. Obwohl Owino von dem Klebstoff benommen ist, kann er lange nicht einschlafen. Er denkt sehnsüchtig an die schöne Zeit vor dem Tod seiner Mutter zurück und hofft, dass seine Gruppe nicht wieder von der Polizei oder von älteren Straßenkindern überfallen wird."
Quelle: Diplomarbeit "Straßenkinder in Kisumu/ Kenia. Eine Studie zur Lebenssituation von Straßenkindern und Konsequenzen für die Soziale Arbeit" von Jonas Puhm, 2003 - mit seiner Genehmigung zitiert.
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